Die folgende Geschichte ist eine Fortsetzung des Märchens „ Die Zauberschnecke “
Die Tochter der Zauberschnecke
Viele Jahre wahren im Zauberreich vergangen, seitdem die Tochter des
Zauberkönigs ihr Abenteuer im Menschenreich bestanden hatte. Sie
war erwachsen geworden, hatte einen Prinzen geheiratet und war nun
selbst Mutter eines Kindes, ein Mädchen namens Marina. Die Kleine
war ein aufgewecktes Kind. Mit Ihrer herzerfrischenden Art konnte sie
alle am Königshof begeistern. Besonders gerne las sie Geschichten
oder, noch besser, ließ sich welche erzählen. Da war es kein
Wunder, dass ihre Mutter ihr immer und immer wieder erzählen
musste, wie es damals ganz genau im Menschenreich mit dem Igel und dem
kleinen Mädchen gewesen war. Und wenn Ihre Mutter geendet hatte,
sagte Marina jedes mal: „Ach, wenn ich doch nur hätte dabei sein
können“.
Eines Tages antwortete ihre Mutter darauf: „Meine kleine Maus, die
Vergangenheit ist vorbei, die kann man nicht noch einmal erleben. Aber
so etwas ähnliches ist doch möglich. Nicht viele wissen, dass
die Zeit im Zauberreich
viel schneller vergeht als bei den Menschen. Wenn hier bei uns ein Jahr
vergangen ist, ist dort erst ein Tag vorbei. Ich habe mit Deinem Vater
besprochen,
dass Du die Menschen einmal besuchen solltest, wenn Du
größer
bist. Wenn Du es dann möchtest, darfst Du an Deinem 15. Geburtstag
das
Menschenmädchen besuchen, dass mich gerettet hat. Es werden bis
dahin
im Menschenreich nur wenige Wochen vergangen sein, seitdem ich dort
war.“
Marina freute sich sehr darauf, das Menschenmädchen kennen zu
lernen. Sie konnte es kaum erwarten endlich 15 zu werden. In Ihrem
Zimmer hängte Sie ein großes Blatt Papier auf, auf dass Sie
für jedes Jahr,
dass sie noch warten musste einen Kreis malte. Und jedes Jahr an Ihrem
Geburtstag strich sie einen der Kreise aus. Endlich war es soweit, dass
sie auch den letzten Kreis ausstreichen konnte. Gleich morgens fragte
sie ihre Eltern: „Darf ich heute endlich ins Menschenreich? Wie machen
wir das denn am besten? Wie komme ich da eigentlich hin? Und wie komme
ich wieder zurück? Und wie…..?“
„Sachte, sachte“ sagte ihre Mutter lachend. „Willst Du den gar nicht
erst mal hier Deinen Geburtstag feiern? Wir wollen doch die leckere
Torte nicht ohne Dich essen!“
„Ja, aber, wie… ich meine wann“ brachte Marina ganz aufgeregt heraus.
„Ist es denn so, dass Du noch immer das Menschenmädchen besuchen
willst?“ fragte ihre Mutter.
„Oh ja, bitte. Ich freue mich schon so darauf“ antwortete sie.
„Gut. Wenn es Dein Wusch ist, dann werden wir Dich in eben jene
Schnecke hineinzaubern, die Dein Großvater dem Mädchen an
meiner statt
geschickt hat. Neben Deinen normalen Zauberkräften wirst Du die
Macht
erhalten, jederzeit wieder zurückzukehren. Und ich bitte Dich
sehr:
Denk immer daran, dass die Zeit hier bei uns viel schneller vergeht.
Komm
bald zurück. Wir werden uns sonst große Sorgen machen. Eine
andere
Bitte habe ich noch: Wenn es Dir möglich ist, dann
grüße
den Igel von mir und sage ihm, dass sein Ratschlag mich gerettet hat.
Allerdings
weiß ich auch nicht, wie Du ihn treffen kannst. Denn er lebt ja
im
Garten und die Stofftiere des Mädchens sind im Haus.“
Mit vielen guten Wünschen wurde Marina auf die Reise geschickt.
Zuerst war ihr ganz merkwürdig schwindlig. Alles drehte sich um
sie. Nach
einer Weile hörte das Drehen auf, aber es dauerte noch eine Zeit,
bis
auch der Schwindel vorüber war.
Als sie sich umsehen wollte, bemerkte sie, dass es dunkel war. Und
ziemlich warm. Und auch ziemlich kuschelig. Da Sie nichts sehen konnte,
horchte sie angestrengt. Ein gleichmäßiges, sanftes
Geräusch war zu
vernehmen. „Hört sich an, als ob jemand atmet“ dachte sie bei
sich.
Irgendetwas hing ziemlich schwer an ihrem Rücken. Und auch der
Kopf
fühlte sich komisch an, so als ob etwas herausstehen würde.
„Das
müssen die Schneckenfühler sein“ dachte sie. „Und auf dem
Rücken,
das ist sicher das Schneckenhaus.“
Einige Zeit verging, als sie plötzlich merkte, wie sich etwas
großes neben ihr anfing zu bewegen. „Uaaahhhhhh“ hörte sie.
„Ich muss bei
dem Mädchen im Bett liegen“ schoss es ihr durch den Kopf. „Und
jetzt
scheint es aufzuwachen“. Mit einem Mal wurde es sehr windig und sehr
hell
und fast wäre Marina zusammengezuckt. Das Mädchen hatte die
Bettdecke
zurückgeschlagen. „Mama“ sagte es laut. Marina schaute sich um.
„So
sieht es also in einem Menschenkinderzimmer aus“ sagte sie zu sich
selbst,
ganz leise, damit das Mädchen nichts hören würde. Die
Tür
ging auf und die Mutter kam herein.
„Hallo mein Schatz, wie geht es Dir denn heute?“ fragte sie.
„Ich weiß noch nicht“ sagte das Mädchen leise. Die Mutter
fühlte ihre Stirn. „Fieber hast Du glaub ich keins mehr“ sagte sie
nach einer Weile. „Willst Du denn aufstehen?“
„M-mh“ nickte das Mädchen. „Oh je“ dachte Marina. „Sie wird doch
wohl nicht etwa krank sein?“.
„Na, dann helfe ich Dir mal beim anziehen“ sagte die Mutter. „Deine
Schnecke kannst Du zum Frühstück ja vielleicht mal oben
lassen. Später kannst Du sie dann holen, ok?“
„M-mh“ nickte das Mädchen.
Kurze Zeit später war die Schnecke allein im Zimmer. Eine
große Schachtel Taschentücher konnte sie sehen, und ein
Fieberthermometer. Anscheinend war das Mädchen wirklich krank. Sie
sah sich um und versuchte mit den anderen Stofftieren zu sprechen, aber
die antworteten nicht. Offensichtlich waren das alles nur ganz normale
Stofftiere und keine verzauberten Wesen
wie sie selbst. Plötzlich merkte die Schnecke, dass aus der Ferne
Stimmen zu ihr drangen. „Manchmal ist Zauberkraft ja ganz
nützlich“ dachte
sie und verzauberte schnell ihre Ohren, so dass sie besser hören
konnte. Das war die Menschenfamilie am Frühstückstisch, die
sich da unterhielt.
„Wie geht’s Dir denn mein Schatz“ hörte sie den Vater fragen.
„Na ja, noch nich’ so gut, aber schon besser als gestern“ antwortete
das Mädchen.
„Ich bin ja froh, dass Du kein Fieber mehr hast“ sagte die Mutter,
„aber ich glaube, wir bleiben heute doch lieber noch mal zu Hause.
Nicht dass
Du uns dann unterwegs zusammenbrichst.“
„Oh schade“ sagte die kleine Schwester. „ich hab mich schon so auf
unseren Ausflug gefreut.“
„Wie wäre es denn, wenn wir stattdessen heute mittag ein Picknick
in unserem Garten machen“ schlug die Mutter vor. „Da sind wir auch
draußen. Und falls es nötig sind wir schnell wieder daheim.“
„ Ja, gut“ und „M-mh“ antworteten die Kinder etwas gedämpft.
„Besser als gar nichts“.
Nach dem Frühstück legte sich das Mädchen wieder ins
Bett. Ihre Schnecke hielt sie dabei fest in Ihrem Arm. „Schön
kuschelig ist es“ dachte Marina, „aber lieber wäre es mir ja doch,
wenn sie gesund wäre.“
Ein paar Stunden später kam der Vater herein. „Kommst Du zu
unserem Picknick?“ fragte er.
„Ich hab gar nicht richtig Hunger“ war die Antwort.
„Na, komm trotzdem mal mit. Die frische Luft wird Dir gut tun. Deine
Schnecke kannst Du ja mitnehmen, wenn Du willst.“
Marinas Herz machte einen Hüpfer. Sie würde in den Garten
kommen! Wo der Igel lebte! Zumindest vielleicht, wenn das Mädchen
sie mitnehmen wollte.
„Trägst Du uns?“ fragte das Mädchen ihren Vater.
„Was denn, Euch beide?“ lachte dieser. „Wie wär’s denn, wenn Du
Deine Schnecke trägst und ich Dich?“
So geschah es und kurz darauf saßen alle zusammen auf einer
großen Decke im Garten. Marina schaute sich um. Hier irgendwo
musste der Igel leben. Aber wie sollte sie ihn finden? Sie konnte ihn
ja nicht rufen, sonst hätten die Menschen gemerkt, dass sie keine
normale Stoffschnecke war. Sie wartete eine Weile bis alle beim Essen
waren, dann fasste sie sich ein Herz und
kroch langsam davon, in eine nahe Hecke, ohne dass jemand etwas merkte.
Kaum war sie hinter den Büschen versteckt setze sie wieder ihre
Zauberkräfte ein, so dass sie ganz ganz schnell kriechen konnte.
Nach kurzer Zeit hatte sie fast den ganzen Garten abgesucht.
Schließlich bemerkte sie den
Igel schlafend in einem Laubhaufen in der hintersten Ecke des Gartens.
„Hallo Igel“ sagte Marina leise, denn sie wollte vermeiden, dass die
Menschen sie hören konnten. Doch der Igel reagierte nicht.
„Iiiiiigel“ sagte
sie noch einmal, und schubste ihn dabei leicht in die Seite. Grunzend
begann
er sich zu bewegen. Er hatte seinen Mittagsschlaf gemacht und war daher
etwas brummig. Aber nur solange, bis er die Augen öffnete und die
Schnecke sah.
„Was machst Du denn hier, du Arme? Ich dachte Du bist schon längst
wieder zu Hause im Zauberreich?“ sagte er, denn er hielt Marina
für eben
jene Zauberschnecke, die er vor ein paar Wochen im Garten getroffen
hatte.
„Edler Igel, ich bin nicht die für die Du mich hältst,
sondern ihre Tochter. Mit Deiner Hilfe konnte meine Mutter noch am
gleichen Tag
heimkehren, ins Zauberreich. Dort vergeht die Zeit viel schneller als
bei
den Menschen, so dass sie schon viele Jahre wieder zu Hause ist. Sie
hat
mich zu Dir geschickt, um Dir für Deine Hilfe zu danken. Ohne Dich
wäre sie vielleicht heute noch nicht zu Hause. Dein Ratschlag mit
der
bunten Stoffschnecke war vorzüglich. Das größere der
Menschenmädchen
hat noch am selben Abend mit ihr einschlafen wollen. Damit die Menschen
nichts merken bin ich in dasselbe Stofftier geschlüpft, das meine
Mutter
bei ihrem Abschied in dieser Welt zurückgelassen hat.
„Aber, lieber Igel, erzähl mir auch von Dir. Wie ist es Dir in der
Zwischenzeit ergangen?“
„Ach, ich freue mich, dass ich so helfen konnte“ antwortete der Igel.
„Wie es mir ergangen ist möchtest Du wissen. Nun ja, ich bin alt
und genieße die warmen Tage meines letzten Sommers. Ich habe
Angst vor dem nächsten Winter, denn ich werde ihn wohl nicht mehr
überstehen. Könnte
ich doch nur auch ein Stofftier sein und in einem warmen
Menschenkinderbettchen liegen.“
„Überlege Dir gut, was Du Dir wünschst, denn manchmal gehen
Wünsche in Erfüllung“ sagte Marina.
„Seitdem ich Deine Mutter getroffen habe denke ich immer wieder daran
wie schön es wäre, wenn ich im Winter mit einem Kind kuscheln
könnte, statt hier draußen in der Kälte zu sitzen“
antwortete der Igel.
„Wenn es Dein innerster Wunsch ist, so soll es geschehen“ sagte Marina.
„Meine eigenen Zauberkräfte sind nicht groß genug um Dich zu
verwandeln, aber …“ Und dann erklärte sie dem Igel ihren Plan.
Kurz darauf krochen und liefen die beiden zusammen an den Rand der
Hecke und setzen sich auf
den Rasen. Die Menschen waren noch mit Essen beschäftigt und
merkten
daher nichts. Marina verabschiedete sich mit einem Kuss vom Igel und
kehrte
heim ins Zauberreich. Die Stoffschnecke ließ sie genau dort
zurück, wo sie zuletzt gesessen hatte. Zuhause angekommen
erzählte sie ihren Eltern rasch, was sie erlebt hatte. „Bitte“
fragte sie zum Schluss „könnt Ihr den Igel in ein kuscheliges
Stofftier verwandeln? Es wäre so eine schöne Belohnung
für ihn.“
Marinas Eltern sahen sich kurz an und antworteten „Das ist eine
ausgezeichnete Idee von Dir. So können wir im nach langer Zeit nun
doch noch unsere Dankbarkeit zeigen.“ Und so geschah es, das im Garten
der Menschen plötzlich zwei Stofftiere saßen, eine Schnecke
und ein Igel.
„Hoffentlich finden mich die Menschenkinder
bald“, dachte der Igel.
Schließlich hatten die Menschen fertig gegessen. Wie durch
Zauberei fühlte sich das größere Mädchen
plötzlich wieder ganz gesund. Dann sagte es: „Wo ist meine
Schnecke?“ Die ganze Picknickdecke wurde abgesucht. Als dort nichts zu
finden war fing die jüngere Schwester an, den Garten abzusuchen.
„Da hinten kann die Schnecke nicht sein, sie kann doch nicht
weglaufen“ sagten die Eltern.
„Hier ist sie aber! Und neben dran sitzt ein Igel!“ triumphierte das
Kind.
„Pass auf, dass Du Dich nicht stichst“ sagte der Vater und lief hinzu.
„Nein, es ist ein Stoffigel, ganz kuschelig schau“ und schon hatte es
die beiden Stofftiere aufgehoben.
Die Eltern sahen sich ungläubig an. „Kommt einem fast so vor, als
ob wir es mit Zauberei zu tun hätten.“
„Darf ich den Igel behalten?“ bettelte das jüngere Mädchen?
„Ja bitte“ stimmte die größere Schwester ein. „Ich habe ja
schon die Schnecke bekommen“. Die Eltern willigten ein und nachdem der
Igel gewaschen und getrocknet war nahm die jüngere Schwester ihn
zu ihren anderen
Kuscheltieren.
So hatten schließlich beide Kinder ein Stofftier bekommen, mit
dem sie noch lange Jahre spielen würden.
ENDE
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Wiedergabe in Schrift, Ton oder sonstwie in welchem Medium auch immer
sowie jedwede kommerzielle Nutzung nur mit schriftlicher Genehmigung
des Autors. Die private Nutzung, besonders als Gute-Nacht-Geschichte
für Kinder, ist ausdrücklich erwünscht. Sollten Sie
diese Geschichte tatsächlich Ihren Kindern vorlesen, würde
ich mich über eine kurze e-mail freuen: web at sdietzel punkt de
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